Pathology of Syntax

Titel: Pathology of Syntax
Instrumentation: Streichquartett
Jahr: 2006–07
Dauer: ca. 16 Min.
Uraufführung: Wittener Tage für neue Kammermusik Festival 2009
Interpreten: Arditti Quartet

Pathology of Syntax 1b

Pathology of Syntax (Ming Tsao, Edition Peters, mm. 50–61)

Pathology of Syntax 2

Pathology of Syntax (Ming Tsao, Edition Peters, mm. 239–245)

Pathology of Syntax 3b

Streichquartett Op. 135 (Ludwig van Beethoven, 1826): „Der schwer gefasste Entschluss“

Pathology of Syntax 4

Pathology of Syntax (Ming Tsao, Edition Peters, mm. 262–277)

Pathology of Syntax 5b

Genetisch Reverse Transkription (wo eine Pathologie ermöglicht wird)

Pathology of Syntax 7

Pathology of Syntax (Ming Tsao, Edition Peters, mm. 174–178)

Pathology of Syntax image 6

Schwarze Sünde (Jean-Marie Straub und Danièle Huillet, 1988): „Neue Welt“


Pathology of Syntax (Auszug)


Pathology of Syntax (Ende)

What mean square error. Remorse is a pathology of
syntax, the expanded time-display depletes the
input of ‘blame’ which patters like scar tissue.
—from “Of Movement Towards A Natural Place” by J.H. Prynne (1974)

Der Titel des Stückes „Pathology of Syntax“ (2006–07), komponiert für ein Streichquartett, kommt aus J. H. Prynnes Gedicht „Of Movement Towards a Natural Place“. Dieses wiederum entstammt der Gedicht-Anthologie „Wound Response“ (1974), welche das Moment der Wunde aus dem bloß körperlichen Bereich über die metaphorische Bedeutung in eine ganz umfassende Betrachtung des Schmerzes überträgt. Douglas Oliver bezeichnet dies als „sublim-buchstäblich“ und meint damit einen Bereich, in dem der poetische Gedanke mit einem quasi-wissenschaftlichen, präzisen Moment der Beobachtung zusammenfällt.

Einiges der gestischen „sprachähnlichen“ Eigenschaften der „Pathology of Syntax“ ist abgeleitet aus Beethovens Opus 135, dessen Mittelpunkt ebenfalls von einer „Wunde“ markiert wird, ähnlich jener Art Wunden, die Beethoven auch in anderen Streichquartetten eingebaut hat und von denen Adorno sagte, sie erschienen ihm, “als ob der Komponist handgreiflich eine gewisse Gewalt einschränke, die allerdings Bestandteil seiner Komposition ist“. Die Wunde bewirkt nämlich eine „Pathologie der Syntax“, die den eigentlichen Fluß der musikalischen Informationen beschädigt und korrumpiert. Dadurch aber können neue Konstruktionen entstehen, die einem ansonsten herabgewürdigten musikalischen Wortschatz entstammen und dem musikalischen Ausdruck Schranken auferlegen. Dabei werden Gesten auf ihre eigentliche Körperlichkeit zurückgeführt, etwa durch das Zupfen und Kratzens der Saiten oder von Materialien wie Haaren, Holz oder Metall. Diese „Pathologie“ vermag den musikalischen Lyrismus umzuwerten und seine organische Verbindung auf ein expressives Subjekt umzuleiten. Dabei entsteht eine Musik, deren Sprachähnlichkeit das Anthropomorphe hinter sich lässt und vielmehr das Verständnis der „die Beziehung dessen, was in unseren Köpfen geschieht und dem Rest unseres Körpers und der ganzen äußeren Welt“ fortsetzt und erweitert. Beethovens „Der schwer gefasste Entschluss“ bedeutet in meinen Augen nicht anderes als das Einreißen der alten musikalischen Gesetzmäßigkeiten, um stattdessen aus ihrer Pathologie eine neue Sprache zu entwickeln, die sehr viel mehr die Welt um uns herum mit einschließt.

Link: www.wisemusicclassical.com/work/64427/Pathology-of-Syntax–Ming-Tsao/